Tourbericht Sonisphere France und UK

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    • Tourbericht Sonisphere France und UK

      Donnerstag, 7. Juli 2011

      Die Fahrt mit dem Zug nach Metz verläuft völlig problemlos und mein Hotel ist schön nahe beim Bahnhof. Das Personal ist sehr freundlich, was sicher auch daran liegt, dass ich mich bemühe, französisch zu sprechen.

      Viel Tageslicht gibt es nicht gerade in dem winzigen Zimmer und das Fenster ist zugenagelt. Na ja, ich werde hier ja nicht viel Zeit verbringen. Es ist schon ziemlich spät, ich schaue mir den Wetterbericht an, höre etwas Musik und gehe früh schlafen.


      Freitag, 8. Juli 2011

      Das Wetter am nächsten Morgen ist super, strahlend blauer Himmel, keine Wolke weit und breit. Ich frühstücke und schaue mir in der Lobby einen Stadtplan an. Aha, eine Kathedrale, ein Fluss, eine Fussgängerzone, das werde ich mir ansehen.

      Die Kathedrale ist riesig, dem Kölner Dom sehr ähnlich, aber aus hellerem Stein. Die Sonne scheint durch die farbigen Fenster herein und ich schaue mir in Ruhe alles an. Dann zünde ich noch Kerzen an für ein paar wichtige Leute.

      Draussen auf der Strasse gehe ich die Gassen hoch zu einem kleinen Aussichtspunkt, der einen Blick über die Stadt erlaubt. Auf dem Weg zurück, ruft mich eine alte Dame, die am Fenster steht. Ich gehe hin und sie streckt mir einen Einkaufszettel und Geld entgegen. Ob ich 2-3 Bananen für sie kaufen könne, fragt sie. Das Geschäft sei nicht weit weg, aber sie sei nicht mehr gut zu Fuss. Ja klar, ich mache mich auf den Weg und finde tatsächlich den kleinen Laden. Der Verkäuferin erkläre ich meine Mission und frage sie, ob sie die alte Dame kenne. Ja, ja, sagt sie, die sei ihr bekannt. Letztes Jahr hätte sie sogar spanische Touristen zum Einkaufen geschickt, die kein Wort französisch konnten. Ich muss grinsen, schön, dass offenbar niemand einfach das Geld nimmt, sondern sich alle bemühen.

      Ich bringe die Bananen und das Restgeld zurück und die alte Dame erwartet mich schon am Fenster. Sie bedankt sich sehr herzlich und wünscht mir Gottes Segen. Et pour vous aussi, Madame.

      An der Kathedrale vorbei gehe ich runter zur Mosel. Schööön! Und da auf einer kleinen Insel steht eine Kirche mit pink farbenen Eisentoren. Hehe, wie speziell. Leider ist die Kirche „Temple Neuf“ geschlossen, aber ich gehe aussen einmal darum herum und schaue mir den Fluss an, der auf beiden Seiten vorbeifliesst. Da sind ein paar Schwäne, die gemütlich auf dem Wasser treiben, ein altes Boot und auf einer Uferseite schön wildromantisches Gestrüpp. Ich setze mich auf eine Bank und blinzle in die Sonne, während ich das vorbeifliessende Wasser betrachte.

      Schon bald ist es Zeit, zurück zum Hotel zu gehen. Ich ziehe meine Festivalklamotten an und gehe zum Bahnhof, mit der Nummer eines Taxiunternehmens in der Tasche, für eine allfällige späte Rückfahrt.

      In Hagondange gibt es einen Shuttle Bus zum Festivalgelände. Der Mann fährt und fährt und wir wundern uns langsam alle schon ziemlich und schauen uns fragend an. Fährt der zurück nach Metz oder was? Dann endlich werden wir ausgeladen. Nach längerem Fussmarsch kommen wir zum Gelände. Bis Airbourne spielen ist noch Zeit, ich kümmere mich also lieber erst mal um die Rückfahrt.

      Auf der Webseite war vermerkt, dass Shuttle Busse vom Festival zurück nach Metz fahren, jede Nacht von 1 Uhr bis 4.30 Uhr. Nur, wo die Busse abfahren, stand da leider nicht. Ich frage beim Informationszelt. Die beiden Clowns dort wissen nicht mal, dass es überhaupt einen Shuttle Bus gibt. Na toll. Ich frage beim Eingang, in der Snow Hall, beim andern Eingang, keiner weiss etwas. Mir ist dabei nicht wohl, aber ich habe ja mein Handy und die Nummer vom Taxiunternehmen dabei.

      Auf dem Weg hoch zur Stage Area gibt es Stau. Alle müssen einen schmalen Weg hoch, der wie ein Nadelöhr wirkt. Nicht gut. Zum Glück bleiben alle cool und irgendwann komme auch ich oben an.

      Kurz bevor Gojira die Bühne entern, stelle ich mich schon mal in die zweite Reihe, um mich langsam Richtung Endziel Front Row vorzuarbeiten. Das gestaltet sich nicht leicht, die Franzosen drängen und drücken und moshen. Boah. Gojira klingen richtig gut, sind wohl Franzosen, wie ich aus den Ansagen schliesse, und werden entsprechend gefeiert. Sehen kann ich nicht viel, lauter grosse Typen rundherum.

      Nachdem Gojira die Bühne verlassen haben, wird es einen Moment etwas besser und ich schaffe es in die erste Reihe. Ziemlich weit aussen, leider, aber wenn ich dran denke, wie anstrengend die Show eben war, dann ist es vielleicht auch ganz gut so.

      Auf der andern Seite spielen Dream Theater und ich bin erstaunt, live gefallen mir die viel besser als auf CD.

      Noch bevor Airbourne loslegen gibt es schon mächtige „Airbourne, Airbourne“-Sprechchöre. Die Fans sind unheimlich laut und heiss auf die Show. Unter der Bühne durch kann ich sehen, wie jemand ein Tänzchen macht zu den „Airbourne, Airbourne“-Chören. Sieht aus wie Joel. Ich bemerke, dass mittlerweile gut die Hälfte der Leute weiss, wie man Airbourne ausspricht. Gut so.

      Dann endlich stürmen Airbourne auf die Bühne. Der Kampf im Publikum legt entsprechend an Intensität zu, boah, LUFT!!! Es ist nicht leicht, die Strömung oben drückt meine obere Körperhälfte nach links, unten werden meine Beine nach rechts gedrückt, während ich versuche, wenigstens noch einen Fuss auf dem Boden zu haben. Mein Oberkörper wird in dem Gedränge auch noch komisch verdreht. Höchst unbequem, wie soll ich das eine Stunde lang aushalten und dabei noch rocken?

      Es ist schon spät und dunkel und es dauert eine Weile, bis Streety mich sieht. Er lacht und zeigt auf mich, „hab dich gesehen“. Er kommt so nahe wie möglich an die äussere Ecke der Bühne, aber leider ist er immer noch weit weg. Na ja, da lässt sich nichts machen. Der Graben zwischen Bühne und Publikum ist auch ungewöhnlich breit.

      Das Publikum geht ab wie verrückt und Airbourne werden davon richtig angetrieben. Streety sprintet und bangt und flippt auf der Bühne herum, dass es eine wahre Freude ist, zuzusehen. Joel rockt etwas mehr am Ort und auch Dave kommt nicht so oft rüber. Dafür headbangt er heute sehr ausgeprägt. Die Band gibt alles, die Kühle der Nacht erleichtert es ihnen sicher, herumzutoben.

      Joels Klettertour findet neu zu Black Jack statt. Cool, ich mag den Song. Leider klettert er auf der andern Seite hoch, die weiter weg ist von mir. Sieht aber genial aus, wie er da oben rockt, einfach nur Rock’n’Roll pur!!!

      Unten lachen und witzeln Streety und Dave, weil Dave offenbar nicht mehr länger mit Streety bangen kann. Black Jack ist halt auch ein echt schneller Song zum Mitbangen. Sie sind aber gut drauf und probieren’s gleich nochmal.

      Leider gibt es keine neuen Songs von No Guts No Glory zu hören, schade, ich hätte gerne endlich mal Armed and Dangerous gehört.

      Bei Cheap Wine will Joel gar nicht mehr aufhören mit dem französischen Wein. „Très bien!“ kommentiert er.

      Ich bange mehrheitlich etwas einsam vor mich hin, die unbequeme Stellung verursacht tierische Rückenschmerzen und die Bühne ist so weit weg. Als ich nach längerem Bangen wieder hochschaue, sehe ich, wie Streety zu mir rüber schaut. Er macht die Airbourne Faust und geht mit wiederholten Strike-Bewegungen rückwärts vor die Amps, während er lacht. Ich weiss nicht, ob er damit meine Headbanging-Künste honoriert oder mir einfach sagen will, dass er sich freut, dass ich mit Airbourne rocke, aber es tut gut.

      Nach der Show stehe ich noch eine Weile bei der Bühne und schaue beim Abbau der Anlage zu. Einer der französischen Security kommt und bringt mir mit einem Lächeln eine Wasserflasche. Oh, danke! Gemütlich schlürfe ich mein Wasser und schaue mir Slipknot von weitem an, die auf der andern Bühne anfangen, zu spielen. Sie klingen gut, die Show ist gut, aber es ist nicht so beeindruckend wie vor zwei Jahren in der Halle in Winterthur.

      Nach einiger Zeit mache ich mich auf den Weg.... nur wohin? Ab 1 Uhr sollen die Shuttle Busse fahren, aber von wo zum Geier? Ich gehe zum Ausgang und frage nochmal. Endlich weiss jemand, dass es Busse gibt. Es sei aber ziemlich weit, ich müsse den Leuten folgen, die da rechts in die Dunkelheit entschwinden. Cool, auf geht’s. Wir stolpern im Dunkeln einen Feldweg mit vielen Schlaglöchern entlang. Nach etwa 10 Minuten kommt ein Parkplatz in Sicht. Er ist riesig. Shuttle Busse sehe ich aber keine. Wir gehen aussen entlang. Da steht ein Auto mit zwei Polizisten. Meine französischen Weggenossen fragen nach den Bussen. Oh, da seid ihr hier falsch. Ihr müsst die Strasse dort entlang zum andern Ausgang. Super. Das ist richtig weit.

      Als wir endlich dort eintreffen, stehen mehrere hundert Leute da. Ein Bus trifft ein. Einer? Für so viele? Es kommt zu tumultartigen Szenen, als alle gleichzeitig reinquetschen. Dann lange nichts mehr. Da läuft ein einsamer Ordner herum. Ich frage ihn nach den Bussen nach Metz. Leider wisse er darüber nicht Bescheid, diese Busse würden alle zum Camping Platz fahren. Er sagt, es hätten schon viele nach den Bussen für Metz gefragt, aber er könne niemanden von den Organisatoren erreichen. Mist. Wir warten. Ich unterhalte mich mit ein paar Leuten, alle sind total begeistert von Airbourne und viele sagen, die hätten den besseren Auftritt hingelegt als Slipknot. Ich bin furchtbar stolz auf die Jungs.

      Es kommt noch ein Bus. Viel später noch einer. Immer noch stehen unheimlich viele da, als ein Polizeiwagen langsam vorbeifährt und uns informiert, dass gleich die Busse zum letzten Mal vorbeikommen. Der Rest der Leute müsse zu Fuss zum Camping Platz, etwa 5km. Ich frage den Polizisten nach den Bussen nach Metz, darüber habe er keine Infos. Oh, Mann.
      * * * Blessed are the cracked, for they let in the light! * * *
    • Ich lerne Lamia aus Norwegen kennen, auch sie will nach Metz. Ich schlage vor, dass wir uns ein Taxi rufen und den Preis teilen. Sie ist einverstanden und wir gehen vorne an die Strassenkreuzung, um wenigstens die Strassennamen bei der Bestellung angeben zu können.

      Vorne an der Kreuzung stehen noch ein paar Deutsche und ein Brite. Sie sagen uns, sie hätten auch schon ein Taxi gerufen, aber die Taxis weigerten sich, uns betrunkene Radaubrüder mitzunehmen?! WTF?! Wir sind alle voll zivilisiert und sehr sehr nüchtern, ausgesetzt mitten in der Nacht im Nirgendwo. Wir versuchen es trotzdem mit der Taxizentrale, aber niemand nimmt unseren Anruf auch nur entgegen.

      Immerhin stehen da noch ein paar Polizisten, die den Verkehr regeln. Wir fragen sie um Hilfe, aber sie sagen uns, wir sollen von der Strasse runtergehen und uns beim Veranstalter beschweren. Ich krame meine Französisch-Kenntnisse zusammen und erkläre, dass wir uns nicht beschweren wollen, sondern nur zurück nach Metz möchten.

      Mittlerweile ist ein letzter Bus eingetroffen, für die Fahrt zum Camping. Blitzschnell ist er umzingelt und kann weder vor noch zurück. Die Leute verlieren langsam die Nerven, die Polizei auch. Und wir haben immer noch keine Lösung für unser Problem.

      Ein letzter Versuch, bevor ich mich hinsetzen und auf den Morgen warten werde. Ich spreche den Polizisten an, der am wenigsten entnervt aussieht. Ich erkläre ihm nochmal von vorne, ganz ruhig, die Situation und dass wir auf seine Hilfe angewiesen sind. Er schaut mich kurz an und sagt: „warte ein paar Minuten.“

      Das tue ich auch, immer in seinem peripheren Blickfeld, aber ohne zu drängen oder zu fluchen wie die andern.

      Er zückt sein Handy und telefoniert herum. Einige Zeit später fährt ein kleines Polizeiwägelchen vor. Der Typ, der aussteigt, ist ganz offensichtlich der Boss. Er spricht kurz mit „meinem“ Polizisten, dann nimmt auch er ein Handy und hängt sich dran.

      Endlich, endlich, kommt er zu uns rüber und sagt, weniger als ein Kilometer von hier die Strasse runter warten zwei Busse auf uns. Phu! Ich bedanke mich und wir machen uns so schnell wie möglich auf den Weg. Nicht, dass die Busse noch vor unserer Nase wegfahren. Ein Kilometer?! Es sind mindestens zwei, als wir vor uns am Strassenrand die Busse sehen. Ich informiere die Fahrer, dass das noch mehr Leute kommen und sie doch bitte warten sollen. Sie bringen uns kostenlos zurück nach Metz und wir sind total erleichtert und bedanken uns überschwenglich. Lamia, der Brite und ich sind im ersten Bus.

      Auf der Rückfahrt können wir schon wieder lachen und witzeln darüber, dass wir das jetzt jedes Jahr wieder machen, um diese denkwürdige Nacht zu feiern.

      Langsam wird es schon wieder etwas heller am Himmel. Vielleicht sollten wir erst frühstücken und dann schlafen gehen?

      Um kurz vor 4 Uhr bin ich im Hotel, ganz schön müde. Um 7 Uhr muss ich schon wieder aufstehen, weiter nach London.


      Samstag, 9. Juli 2011

      Ich kriege kaum die Augen auf, aber die Vorstellung, hier wegzukommen, treibt mich an. Ich muss mich zwar etwas beeilen, aber ich schaffe es rechtzeitig zum Zug nach Paris.

      Im Gare de l’Est muss ich zum andern Bahnhof, Gare du Nord, zu Fuss. Im Halbschlaf bin ich mir nicht mehr ganz sicher über den Weg und möchte auf einer Informationstafel nochmal nachschauen. Eine junge Frau fragt mich nach Geld. Sie will Geld? Ich denke gar nicht darüber nach; wenn sie Geld will, kann sie von mir aus Geld haben. Ich öffne meine Geldbörse und sie greift gleich rein und krallt sich die Kohle! Verdammt! Fehler! Plötzlich bin ich hellwach. Ich packe ihr Handgelenk und ein Kampf um das Geld entbrennt. Kurz und heftig. Ich bin so wütend, dass ich sie am Hals packe. Sie reisst erschrocken die Augen auf und lockert den Griff ums Geld. Ich lasse ihren Hals los und kralle mir mein Geld. Sie läuft weg, etwa 40-50 Euro hat sie erbeutet. Kein Weltuntergang, trotzdem zittere ich. Auch vor Wut. Wie konnte ich darauf reinfallen? Ich kenne doch alle diese Tricks, ich arbeite doch mit Sinti und Roma aus Rumänien und weiss es ganz genau. Ich gebe Sonisphere France die Schuld, wenn die nicht die Shuttle Busse einfach vergessen hätten, dann wäre ich nicht so müde auf die Reise gegangen.

      Ein Afrikaner kommt auf mich zu, fragt, ob ich okay sei. Ich bin froh drum, er redet ganz ruhig ein wenig mit mir, ich fühle mich langsam besser. Er rät mir, zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten, es sei echt schlimm und die Polizei mache nichts ohne Anzeige. Na gut, ich betrete die Polizeiwache, wo drei Bullen rumsitzen und Kaffee trinken.

      Mir reicht’s. Ich fahre sie an, wie wär’s, wenn ihr mal da raus gehen würdet und den Bahnhof aufräumt?! Offensichtlich ist das nicht der Ton, der ihnen gefällt, aber es hat keine Konsequenzen für mich. Ihnen ist wohl auch klar, dass sie gerade einen richtig schlechten Eindruck machen.

      Ich gebe die Anzeige auf und gehe zum Gare du Nord. Dort checke ich für den Eurostar ein. Geschafft. Jetzt kann nichts mehr schiefgehen. Ich freue mich darauf, bald in London zu sein und ein paar Stunden zu schlafen.

      Soweit die Theorie. Wir sind mitten auf der Fahrt durch den Tunnel unter dem Ärmelkanal, da rollt der Zug aus und bleibt stehen. Das Airconditioning funktioniert nicht mehr und es wird ganz schnell warm und stickig im vollbesetzten Zug. Zu Fuss hier raus ist keine Option, also sitzenbleiben und Ruhe bewahren. Per Lautsprecherdurchsage werden wir informiert, dass es wohl nicht am Zug liege, sondern dass die Oberleitung keinen Strom mehr führe. Mir doch egal, ich will nur weiterfahren.

      Nach einer halben Ewigkeit, zeitweise in völliger Dunkelheit, dann wieder mit Notbeleuchtung, fährt der Zug langsam wieder an. Die Aircon funktioniert wieder und wir atmen erleichtert durch.

      Kaum sind wir aus dem Tunnel raus, steht der Zug auch schon wieder. Mitten auf offener Strecke, sengende Sonne von oben, links und rechts weitere Geleise. Aussteigen ist auch auch hier keine gute Idee. Ein Zug rauscht in voller Fahrt an uns vorbei. Nur gut, dass der nicht auf dem gleichen Gleis unterwegs war.

      Wir sitzen und schmoren vor uns hin, die Luft wird immer schlechter, die Leute immer nervöser. Ein paar versuchen, die Türen zu öffnen. Schon eine abstrakte Vorstellung, wir kriegen hier drin kaum Luft und auf der andern Seite dieser Glasscheiben und Türen gibt es mehr als genug davon. Das wäre ja mal ein bizarrer Tod.

      Die Zugbegleiterin kämpft sich durch von Wagen zu Wagen, gar nicht einfach, wo sie auftaucht, wird sie gleich belagert. Sie erklärt uns, dass das Problem wohl doch beim Zug zu suchen sei. Sie wisse, es sei höchst unangenehm, aber sie bitte uns, Ruhe zu bewahren und NICHT die Türen zu öffnen.

      Tja, dann warten wir eben. Wenn uns das langsame Ersticken zu dumm wird, können wir immer noch den Kopf aus der Türe strecken und uns vom nächsten vorbeidonnernden Zug enthaupten lassen.

      Nach einer halben Ewigkeit fährt der Zug dann doch wieder los und schafft es – oh Wunder! – bis nach London. Mehr als zwei Stunden Verspätung. Das sind die zwei Stunden, die ich gemütlich im Hotel pennen wollte.

      Das Hotel ist wie immer, mein Zimmer ist auch wie immer, Treppe runter, um die Ecke, durch die Türe, etc. pp. Das Zimmer liegt im Keller, das Fenster zu einem kleinen Innenhof, in den nicht wirklich viel Licht fällt.
      * * * Blessed are the cracked, for they let in the light! * * *
    • Was soll’s. Wenn ich jetzt schlafen gehe, stehe ich vor dem nächsten Morgen nicht mehr auf. Also mache ich mich lieber auf nach Knebworth. Vielleicht hebt das ja die Stimmung.

      Der Weg zum Festival verläuft problemlos. Es gibt Shuttle Busse zum Festival und obschon es gerade noch geregnet hat, gibt es keine Schlammschlacht (take that, Sonisphere Jonschwil!). Das Abholen des Tickets beim Box Office, kein Problem, Bändchen abholen, wunderbar, freundliche Security wohin man schaut, alle, wirklich alle lächeln mir zu. Das tut gut.

      Die Klos sind reichlich und sauber, das Gelände ist gross, kein Nadelöhr weit und breit. Ich schaue mir den Rest der Show von The Mars Volta an, sind okay. Dann kaufe ich mir einen Drink, schaue mir das Gelände an und mache mich langsam auf zu der Bühne, auf der die Black Spiders spielen werden.

      Erst sind noch Saint Jude dran. Doofer Name, cooler Sound. Die Sängerin hat eine gute Stimme, sie spielen stomping rock mit viel funk, eine sympathische Band, die zum Mitklatschen animiert.

      Als die Band die Bühne verlässt, schnappe ich mir einen Platz in der ersten Reihe. Ich schaue nach links, mein Nebenmann nach rechts, es ist Rich! Schöner Zufall! Ich erzähle Rich und Liz von dem Höllentrip hierher und Liz nimmt mich erst mal in den Arm. Phu. Ich kann kaum reden, bin immer noch ziemlich durcheinander und natürlich auch so richtig müde.

      Aber erst wollen wir noch zu den Black Spiders rocken. Wir stehen leicht rechts von der Bühne, so dass ein Verstärker etwas die Sicht zum Drummer versperrt. Na ja, im Shepherd’s Bush werden wir wieder miteinander rocken. Der Gitarrist vor uns grinst uns aber an, als wir begeistert jubeln und los bangen. Die Show ist super und die Fans kennen natürlich jeden Witz und jedes Spiel mit den Black Spiders. Es sind unheimlich viele Leute vor der kleinen Bühne, es scheint, als hätten sich die Black Spiders schon eine recht grosse entschlossene Fanbasis geschaffen.

      Links hinter mir ist ein Girl in Bedrängnis. In typisch britischer Manier hängt ihr ein aufdringlicher Kerl am Hintern. Ich muss leider los, um den letzten Zug nach London zu erwischen, also umarme ich Liz nochmal, wir werden uns morgen wieder sehen, dann greife ich mir das Girl und ziehe sie nach vorne an meinen Platz in der ersten Reihe. Sie strahlt mich erfreut und erleichtert an, während ich noch ein ganzes Weilchen brauche, um aus der dichtgedrängten Meute überhaupt rauszukommen.

      Auf dem Weg zum Shuttle Bus gesellt sich ein Typ zu mir: „Hi, I’m Daniel.“ – „Hi, I’m Jamila.“ – „You’re amazing! Can I kiss you?“ – „You’re not wasting any time, are you?” Er macht mich an und ich blocke ab, den ganzen Weg zu den Shuttle Bussen geht das so, er will einfach nicht aufgeben, ich will einfach nur ins Bett. Er bietet mir an, bei ihm im Zelt zu schlafen und preist seine Qualitäten als Lover an: „I could show you a thing or two!“ – „I have no doubt.“ – „Then come with me.“ EIGENTLICH bin ich ja immer dafür, solchen Mut und Durchhaltewillen zu belohnen, aber ich bin wirklich zu ko um auch nur an Sex zu denken: „No.“ – „What?! Am I that ugly?!“ – „No, you’re not. But I’m going back to London.” – “Can I come with you?” – “No.”

      Dann endlich sind wir an der Kreuzung, links geht’s zum Camping, rechts zu den Shuttle Bussen. Ich lasse seine Hand los: „See ya! Take care.“ und schon bin ich weg, hinter ein paar Leuten verschwunden.

      Die Shuttle Busse hier sind perfekt organisiert, es gibt reichlich davon und ich erwische sogar noch den früheren Zug nach London, wo ich erschöpft ins Bett falle und nur so am Rande mitkriege, dass es zu einer Seite leicht geneigt ist. Egal, ich kann eh nicht aus dem Bett fallen, das Zimmer ist viel zu winzig.


      Sonntag, 10. Juli 2011

      Es geht mir schon bedeutend besser. Nach einem gemütlichen English Breakfast mache ich mich auf nach Knebworth. Unterwegs regnet es, aber nicht zu heftig, dann scheint auch schon wieder die Sonne.

      Ich will unbedingt für Airbourne in die erste Reihe, aber ob das geht bei dem grossen Festival? Ich gehe besser schon mal in Startposition. Die Hip Hopper House of Pain versetzen mich zwar nicht in Begeisterungsstürme, aber immerhin kann ich nach dem Gig in die Front Row wechseln.

      Es sind zwei Schweigeminuten für Paul Gray angesagt und tatsächlich ist es totenstill auf dem ganzen Gelände. Zwei Minuten sind eine lange Zeit, es ist unheimlich und ergreifend zugleich. Wir verdrücken alle ein paar Tränen. Als die zwei Minuten um sind, kriegt Paul Gray noch einen letzten, donnernden Applaus.

      Ich bin noch gar nicht bereit zum Rocken, und In Flames, die jetzt auf die Bühne kommen, brauchen auch noch ein paar Minuten, bis die Maschine wieder so richtig in Fahrt kommt. In Flames gefallen mir super gut.

      Nachher schaue ich mir die Front Row genau an und entdecke auf der andern Seite Liz und Rich. Sie winken, ich soll rüberkommen. Okay, zusammen rocken ist schöner. Wir stehen genau vor Dave’s Mikro. Es ist schon jetzt eng und heiss. Wir kriegen Wasser von der Security, die wirklich sehr nett und lustig drauf ist.

      Ich bin so richtig ready to rock und als Airbourne die Bühne entern, fangen wir drei auch gleich an zu jubeln und zu bangen. Wir und die restliche Meute, natürlich, die von hinten mit viel Wucht nach vorne drängt. Nur hier versucht niemand, den andern aus dem Weg zu räumen. Jeder achtet auf den andern und es wird miteinander gerockt, nicht gegeneinander.

      Dave reisst mal kurz die Augen auf, was wohl seine Art ist, hallo zu sagen, dann ist er wieder in seinem Rock’n’Roll-Trancezustand weggetreten.

      Joel verdreht mächtig die Augen und markiert den wilden Mann. Er hüpft wieder wie Rumpelstilzchen über die Bühne.

      Ryan ackert und ackert unermüdlich, der Schweiss läuft in Strömen und er schnappt nach Luft. Trotzdem der Himmel teilweise bewölkt ist, ist es ganz schön schwülwarm.

      Streety kommt rübergerannt und läuft ganz vorne an den Rand der Bühne. Er schreit mir etwas zu, was wahrscheinlich „Bang with me!“ heisst und wir legen los.

      Als Joel ins Gestänge steigt, setzt er dieses Mal auf der andern Seite der Bühne an, schon wieder nicht auf meiner Seite! Ich mache ein langes Gesicht und deute Streety mit Handzeichen „falsche Seite! Hierher!“ Der lacht sich schief vor seinem Verstärker.

      Bei Cheap Wine gibt’s auch dieses Mal die „auf die Schultern des Nachbarn steig“-Übung. Joel sagt sowas wie: „Lift up your neighbour, even if you don’t know the cunt!” Gelächter im Publikum und ich frage mich, ob die Wortwahl Absicht war. Egal, gesagt, getan, schon setzen sich jede Menge Leute auf die Schultern ihrer Nachbarn. Die Security will sie erst runter ordern, lässt sie dann aber für den Rest des Songs. Danach steigen alle brav wieder runter.

      Da ich auf Dave’s Seite bin, komme ich dieses Mal in den Genuss, die zweite Strophe von Too much too young mit Streety zu singen. Bei Paranoia on every STREET zeige ich auf ihn und er lacht. Happy moments.

      Nach der Show bin ich einfach nur ausgelaugt und glücklich. Wir bleiben noch kurz stehen, dann gehen wir langsam zur andern Bühne, Motörhead anschauen. Liz und ich können kaum laufen, es war doch ziemlich eng, auch wenn wir immer alle die Hände und Füsse schön sortiert haben während der Show, so dass jeder stehen und sich festhalten konnte.

      Liz und ich schwanken steif hinter Rich her, schauen uns nach Motörhead noch ein wenig Opeth an. Mikael Akerfeldt entwickelt sich zum Komiker: „For a moment I thought it said „Whitesnake” over there, but now I see it’s “Milkshake.”

      Unsere Füsse schmerzen und wir setzen uns bei der Bar erst mal eine Zeitlang auf die Bank. Es fängt an zu regnen während gleichzeitig die Sonne scheint.

      Liz und Rich wollen dann noch Bill Bailey sehen, einen britischen Komiker, ist mir auch recht. Leider verlieren wir Rich im Getümmel. Liz macht sich Sorgen und ich frage sie, ob sie die Autoschlüssel hat. „Yes!“ Ihr Gesicht hellt sich auf. Na also, er wird sich schon bemühen, sie zu finden, wenn er heim will.

      Ich lerne noch ein paar nette Leute von Airbourne UK kennen und später findet auch Rich den Weg zu uns, während wir uns alle zusammen Slipknot zum Abschluss des Festivals anschauen.
      * * * Blessed are the cracked, for they let in the light! * * *
    • was für eine Geschichte^^

      Starlight schrieb:

      Dann endlich stürmen Airbourne auf die Bühne. Der Kampf im Publikum legt entsprechend an Intensität zu, boah, LUFT!!! Es ist nicht leicht, die Strömung oben drückt meine obere Körperhälfte nach links, unten werden meine Beine nach rechts gedrückt, während ich versuche, wenigstens noch einen Fuss auf dem Boden zu haben. Mein Oberkörper wird in dem Gedränge auch noch komisch verdreht. Höchst unbequem, wie soll ich das eine Stunde lang aushalten und dabei noch rocken?

      das kommt mir irgendwie bekannt vor :)

      Starlight schrieb:

      Im Gare de l’ Im Halbschlaf bin ich mir nicht mehr ganz sicher über den Weg und möchte auf einer Informationstafel nochmal nachschauen. Eine junge Frau fragt mich nach Geld. Sie will Geld? Ich denke gar nicht darüber nach; wenn sie Geld will, kann sie von mir aus Geld haben. Ich öffne meine Geldbörse und sie greift gleich rein und krallt sich die Kohle! Verdammt! Fehler!

      naja, das kann bei den umständen schon mal passieren :rofl2:


      Starlight schrieb:

      Auf dem Weg zum Shuttle Bus gesellt sich ein Typ zu mir: „Hi, I’m Daniel.“ – „Hi, I’m Jamila.“ – „You’re amazing! Can I kiss you?“ – „You’re not wasting any time, are you?” Er macht mich an und ich blocke ab, den ganzen Weg zu den Shuttle Bussen geht das so, er will einfach nicht aufgeben, ich will einfach nur ins Bett. Er bietet mir an, bei ihm im Zelt zu schlafen und preist seine Qualitäten als Lover an: „I could show you a thing or two!“ – „I have no doubt.“ – „Then come with me.“ EIGENTLICH bin ich ja immer dafür, solchen Mut und Durchhaltewillen zu belohnen, aber ich bin wirklich zu ko um auch nur an Sex zu denken: „No.“ – „What?! Am I that ugly?!“ – „No, you’re not. But I’m going back to London.” – “Can I come with you?” – “No.”


      Typen gibt`s :dash1:


      alles in allem war es doch trotzdem ne coole Tour! Kannst auf jeden Fall ne Menge davon berichten :good2:
    • Schön, dass Du durchgehalten hast und das alles gelesen hast, Mindfreak. :good2: Da ich über keine Enkelkinder verfüge, müsst Ihr einfach herhalten und meine Tourstories lesen. ;) Aber echt, langweilig wird das nie. Und auch wenn man denkt, man hätte alles schon erlebt, es gibt immer wieder Überraschungen.
      * * * Blessed are the cracked, for they let in the light! * * *
    • So, ich habe mich jetzt auch mal aufgerafft, deinen jetzigen seeehr langen Tourreport zu lesen. Wirklich sehr fein. Mich fadziniett es immer wieder, was man alles suf solchen Fahrten erlebt. Das beste daran, finde ich, ist, dass man immer wieder neue Leute kennen lernt. Bei mir sind es zwar nicht so Konzert
      fahrten in dem Maße, wie bei dir. Dafür aber Auswärtsfahrten vom HSV. Ich fahre denen echt zu (fast) jeden Auswärtspflichtspiel hinterher. Und Heimspiele supporte ich sowiedo immef ... Vom Feeling und der Atmosphäre kommt essicherlich aufs Gleiche hinaus. Und obwohl nicht immer alles glatt läuft, blickt man im Allgemeinen mit positiven Erinnerungen darauf zurück :)
      C'mon, drink your beer, drink your wine - Let's have a good time!
    • super bericht, macht unheimlich laune das zu lesen!
      Die französischen Mädels waren auch dort und haben mal wieder die Band getroffen und den ganzen Tag mit ihnen gefeiert, was mir das Herz grade blutet, dass ich nicht dort war -.-
      Die Airbourne-Sucht ist einfach vieeel zu grooß...
      fuck the law, Rock n Roll