Airbourne in Wolverhampton

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    • Airbourne in Wolverhampton

      Ich bin überrascht, wie gut es sich im United Kingdom mit der Bahn reist. Man hört ja öfter mal Horrorstories, aber die Leute sind einfach nur absolut freundlich und hilfsbereit und die Züge zwar alt und nicht besonders sauber, aber pünktlich. Und natürlich ist die Aussicht einfach herrlich.

      Ich stehe etwas unschlüssig vor dem Monitor, auf dem der Zug nach Wolverhampton angezeigt ist. Soll ich den nehmen? Sieht aus wie ein Bummler... Da fragt mich ein Bahnangestellter im Vorbeigehen, wo ich denn hin möchte. „Wolverhampton.“ – „Alright then, come with me!“ sagt er und lacht mich herzlich an. Oh ja, bis ans Ende der Welt! Wie sich herausstellt, ist er der Schaffner und ist zu einfach allen seinen Fahrgästen so zuvorkommend. Gut, dann eben nicht bis ans Ende der Welt. Dann steig ich in Wolverhampton halt wieder aus.

      Das Britannia Hotel ist wie erwartet, very British. Man läuft um tausend Ecken, Treppe hoch, um die nächste Ecke, Treppe runter, alles mit Gepäck, bis man am Ende zwar beim Zimmer ankommt, aber so ganz leise Zweifel hat, ob man je wieder aus dem Irrgarten herausfinden wird. Ich nehme mir vor, früh zu starten zum Konzert. Das Zimmer... wie aus dem Museum, rosa Tapeten, total weiches Bett, alte fleckige Möbel, Staub, Schimmel im Bad... Aber nur für eine Nacht, scheiss drauf.

      Da das Zimmer ja nicht gerade zum Bleiben einlädt, bin ich tatsächlich früh unterwegs zur Civic Hall. Oooh.... Wolverhampton ist schön! Super alte Häuser, nette Stadt, nette Leute. Ja, hier könnte ich leben (einmal mehr). Draussen vor der Halle warte ich dann, mit klopfendem Herzen, denn die Scheiben klirren beim Soundcheck verheissungsvoll. Die Jungs, die auch da sind, singen „Fuck her gently“, inklusive der nötigen Betonung. Wir haben jetzt schon mächtig Spass. Hier noch die lyrics zu dieser Ode an die Frau:

      This is a song for the ladies
      But fellas listen closely
      You don't always have to fuck her hard
      In fact sometimes that's not right to do
      Sometimes you've got to make some love
      And fuckin give her some smoochies too
      Sometimes ya got to squeeze
      Sometimes you've got to say please
      Sometime you've got to say hey
      I'm gonna Fuck you softly
      I'm gonna screw you gently
      I'm gonna hump you sweetly
      I'm gonna ball you discreetly
      And then you say hey I bought you flowers
      And then you say wait a minute sally
      I think I got somethin in my teeth
      Could you get it out for me
      That's fuckin teamwork
      Whats your favorite posish?
      That's cool with me
      Its not my favorite
      But I'll do it for you
      Whats your favorite dish?
      Im not gonna cook it
      But ill order it from Zanzibar
      And then I'm gonna love you completely
      And then I'll fuckin fuck you discreetly
      And then I'll fucking bone you completely
      But then I'm gonna fuck you hard
      Hard

      Beim Einlass geht dann alles ganz leicht und schon stehe ich wieder auf meinem Lieblingsplatz in der ersten Reihe. Jetzt nur nicht ans Klo denken...

      Als Adam die Instrumente nochmal checkt, muss ich grinsen. Er läuft damit spielend über die Bühne. Streety’s Bass ist schön gross, macht sich gut an dem langen Typen, aber als er mit Dave’s Gitarre rauskommt, das Ding wirkt winzig an ihm und der Gurt ist so kurz, dass er die Gitarre eher auf Höhe einer Ukulele hält, hehe... ist Roadsy so klein? Ist mir noch nie so aufgefallen.

      Der Sound ist natürlich auch hier laut, aber nicht so schmerzhaft wie in Manchester. Taking Dawn mit ihrem hohen Gekreische (sorry, auch nach so oft hören einfach nicht mein Stil) tun weh, die Black Spiders und Airbourne aber nicht.

      Streety erkennt mich natürlich gleich wieder als er nach vorne an die Bühne stürmt und lacht. Die Jungs sind heute total am Abdrehen, bewegen sich unheimlich viel, bangen die ganze Zeit, Joel verdreht die Augen dass es eine wahre Freude ist!

      Es ist heiss, Bier fliegt von allen Seiten und auch die Jungs brauchen viel Wasser und Bier und Adam ist dementsprechend am Trockenwischen in allen Ecken und sogar die Amps werden mit Wasser begossen, als Streety sich mal wieder eine Dusche gönnt.

      Ich glaube, bei „Hellfire“ springt Joel in einem riesen Satz von der Bühne in den Graben, landet auf beiden Füssen, doch die rutschen blitzschnell unter ihm weg (Bierlache) und er landet höchst unsanft auf dem Hosenboden. Autsch! Das muss weh getan haben, der Mann hat ja auch kein Gramm Fett zum Abfedern. Ich zucke zusammen, Streety späht vorsichtig in den Graben, wo denn der Frontmann abgeblieben ist. Joel steht aber schon wieder auf und rockt weiter, der Absperrung entlang, quer durch’s Publikum, als wäre nichts gewesen. Dann klettert er auf den Balkon und rockt einmal oben rundherum.

      Dave ist auch viel unterwegs, schaut aber leider mal wieder so gar nicht ins Publikum und ist ziemlich weggetreten.

      Was denn?! Von hinten drückt sich einer ziemlich aufdringlich an mich ran und macht höchst eindeutige Stossbewegungen. Oh Freude! Keine andere Möglichkeit, sich einen runterzuholen? Es nervt zwar schon ein wenig, aber ich will es nicht auf einen Streit ankommen lassen, bei dem ich am Ende meinen Platz verliere. Ich verdrehe die Augen und lange mir an den Kopf. Streety lacht. Ja ja, Kumpel, dir hängt auch kein alter Engländer am Arsch.

      Das Publikum hier ist sowieso etwas komisch drauf, es gibt – abgesehen von dem Typen hinter mir – nicht so viel Gedränge und Geschubse, sie singen schön mit, moshen auch im Pit, aber ansonsten finden sie es eher spassig, uns Frauen mit Bier zu übergiessen. Toll, das wirkt wie Haarspray, wenn’s trocknet wird alles steif und klebrig. Die Füsse kleben auch ganz schön am biergetränkten Boden fest, es ist alles in allem eine ziemlich feucht-klebrige Angelegenheit.

      Von Ryan bekomme ich dieses Mal so gar nichts mit, aber die paar Mal, die ich zu ihm rüberschaue, grinst er und ist offensichtlich bester Laune. Joel besucht ihn auch mal da hinten und benutzt dann seine Drums als Absprungmöglichkeit für einen weiteren Höhenflug.

      Bei „Cheap wine“ holt Joel wie immer die Weinflasche raus, aber Mist, sie ist leer! Er grinst, sagt ganz unschuldig, die habe wohl jemand beim Rocken umgestossen. Ja, wer wohl?! Er holt sich dann ungerührt ein Bier und trinkt das in einem Zug leer. Wow.

      Der Gurt an Streety’s Bass ist total verdreht, Adam dreht in eine Richtung, Streety in die andere, dann wieder zurück. Nee, da lässt sich nichts machen, also zuckt er mit den Schultern und rockt weiter.

      Bei „Girls in Black“ flippt Streety aus, wenn das mal nicht einer seiner Lieblingssongs ist, weiss ich auch nicht. Beim Chorus schaut er zu mir rüber und zieht vielsagend die Augenbrauen hoch. Ich wundere mich immer, wie wir gegen den enormen Sound ansingen müssen, und vor allem, dass ich nach dem Konzert immer noch Stimme habe. Ich könnte es doch eigentlich locker nehmen, mich hört man eh nicht im Getöse, aber irgendwie schreit man ganz automatisch mit und natürlich reisst es einen auch einfach vom Hocker, wenn die Jungs da oben wie entfesselt herumtoben.

      Am Schluss dreht Joel nochmal alle Lautstärkeregler auf volle Kanne, wow, das drückt einen fast nach hinten, wenn plötzlich so eine Soundmauer auf einen trifft.

      Nach dem Konzert bleibt die erste Reihe wie immer erst mal eine Weile erschlagen stehen. Schade, Streety hat es sich wohl abgewöhnt, runter an die Barriers zu kommen. Und der Airbourne-Wasser-Mann taucht auch nicht auf.

      Das scheint mir ein guter Zeitpunkt zu sein, mal aufs Klo zu gehen und kaum mache ich die Türe auf, wer steht da? Liz! Wir umarmen uns, sie freut sich und wir unterhalten uns kurz. Leider haben sie und Rich auch dieses Mal keine Zeit, weil sie ihr Auto in einer Garage haben, die in 15 Minuten schliesst. Sie sagt mir aber, ich müsse ihr unbedingt durchgeben, welche Konzerte von Airbourne ich in Zukunft sehe, damit wir uns mal verabreden können. Oh ja, gute Idee! Und sie sagt, Ryan hätte ihnen gesagt, dass Airbourne im November/Dezember 2010 nochmal nach Europa auf Tour kommen. Super! Dann ist der Fall klar, dann brauche ich nicht so viel Kohle für Festivals auszugeben, sondern spare lieber auf die zweite Tour für nur Airbourne, viel näher als an einem Festival. Wir umarmen uns nochmal, ich gehe endlich aufs Klo.

      Kaum raus aus der Türe und auf dem Weg nach Draussen, betritt der Airbourne-Wasser-Mann die Halle von der Merchandise her kommend, er sieht mich und hält gleich die Arme auf, in die ich natürlich noch so gerne sinke... „Na, wie geht’s?“ fragt er und ich kann nur sagen: „Glücklich, taub aber glücklich.“ Er grinst und wir unterhalten uns kurz. Er sagt, sie hätten viel Stress hier in Wolverhampton, viel Presse und so. Aber die Verabredung in Dublin steht. Da hätten sie nach dem Gig einen Day Off, also genug Zeit für Party. Er muss dann wieder arbeiten gehen und ich gehe raus an die frische Luft.

      Hier ist es schön, warm, frühlingshaft und viel zu früh zum Schlafen gehen. Ich schliesse mich ganz selbstverständlich ein paar netten und absolut unbekannten Konzertbesuchern an, die mich angequatsch haben wie ich das Konzert fand und wir gehen zum nächsten Rock Pub. Dort treffe ich dann die zwei Frauen wieder, die links von mir standen beim Konzert. Wir trinken alle gemütlich was zusammen. Mann, bei den Briten könnte ich es echt aushalten, herzlich, unkompliziert, offen...

      Vom Rock Pub aus ziehe ich dann noch weiter in ein dunkles Seitengässchen mit Claire. Wir gehen zu einem Club, der noch etwas härtere Musik spielt, der heisst „Planet“. Mir fallen fast die Augen aus dem Kopf, lauter hübsche, langhaarige Jungs, die um die Wette bangen. Wir schauen aber nicht lange, sondern mischen uns gleich unters Volk. Claire kennt aber auch fast jeden und schon bald bin ich nicht mehr unbemannt. Wir haben Spass, Claire will wissen, ob ich ausschliesslich auf Jungs stehe und ich sage, mehrheitlich, aber ich bin offen für alles. Das war dann wohl das Stichwort und schon wird geknutscht, wild durcheinander, jeder mit jedem. In den frühen Morgenstunden verabschiede ich mich dann und gönne mir ein paar Stündchen Schlaf mit klingeln im Ohr und Rückenschmerzen vom weichen Bett und die Welt dreht sich auch ganz leicht. Das letzte Bier war dann wohl zuviel.

      Als ich in Wolverhampton am Sonntag auf den Zug warte, erlebe ich noch eine kleine Überraschung. Da kommt ein ganzer Zug voll Fans an, sie singen, sind aber alle friedlich. Fussball, wie es scheint. Ein einziger Polizist steht da und grinst freundlich. Wenn ich da an die Probleme der FC St.Gallen Fans denke...
      * * * Blessed are the cracked, for they let in the light! * * *