Tourreport Reload Festival, Sulingen, 6. Juli 2013

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    • Tourreport Reload Festival, Sulingen, 6. Juli 2013

      Unverhofft kommt oft. Eigentlich war ich davon ausgegangen, Airbourne erst wieder auf der Winter-Tour zu sehen, aber dann lese ich, dass sie kurzfristig für Motörhead einspringen, die ja leider die restlichen Sommershows absagen mussten.

      Ein guter Freund, der schon lange im Musikbusiness zu Hause ist, fragt beim Chef des Reload Festivals an und der setzt mich rasch und unkompliziert auf die Gästeliste! Vielen Dank, ich bin beeindruckt von dieser Flexibilität und Freundlichkeit. Na, dann mal auf, ich freue mich auf ein cooles kleines Festival mit hervorragenden Bands. Die Tatsache, dass ich am Samstagmorgen mit dem 6-Uhr-Zug los muss und erst bei meiner Rückkehr am Sonntagabend wieder eine Mütze Schlaf kriegen werde, verblasst in meinem Bewusstsein angesichts der Vorfreude wie eine alte Tapete im hellen Sonnenschein.

      Doch dann – wie Mutti immer sagte; man soll den Tag nicht vor dem Abend loben – erfahre ich am Infostand, dass ich auf der vorliegenden Liste nicht drauf bin. Der Chef ist telefonisch nicht zu erreichen und das schöne kleine Festival droht, für mich nicht stattzufinden.

      Nach einigem hin und her und dem Einsatz meiner ganzen charmanten Hartnäckigkeit kriege ich dann doch noch ein Bändchen. Phu, immer dieser Ärger... ziemlich sauer stampfe ich vor die Bühne, wo grade Fiddler's Green die letzten Takte spielen.

      Das Gelände ist von der Grösse wirklich übersichtlich, sieht nach etwa 10‘000 Besuchern aus, aber einen Merchandise Stand kann ich nirgends entdecken. Der Gang zum WC spült dann meine Stimmung endgültig das Klo runter, es gibt zwar echte WC's, aber die sind so klein, dass man kaum die Hosen raufziehen kann, ohne damit das Klo abzuwischen. Und viel wichtiger, Behälter für Tampons wären hier nicht Luxus, sondern einfach nur Hygiene-Minimalausstattung (sorry an die männlichen Leser, da seht ihr mal, mit was sich Frau so herumplagen muss...).

      Grimmig stelle ich mich vor die Bühne, die von einem riesigen Kamera-Schwenkarm halb verdeckt wird. Schade, denn die Show wird nicht auf Monitore übertragen. Der einzige Grund, der dem Kameraarm rechtfertigen würde, sind die ZDF-Leute, die hier herumwuseln. Wird wohl etwas im TV übertragen, also Augen offen halten nach Airbourne!

      Als dann die Emil Bulls die Bühne entern steigt meine Stimmung schlagartig wieder an. Christoph von Freydorf ist echt einer der sympathischsten und bescheidensten Frontmänner. Mit viel Fingerspitzengefühl und Humor versteht er es, das Publikum so richtig in Stimmung zu bringen. Es ist wie ein Konzert unter Freunden. Alle haben Spass, pogen, moshen und machen mit, so gut sie können. "Habt ihr eure Tanzschühchen mitgebracht?" fragt Christ, bevor er wieder mit einem schnelleren Stück alle zum Rocken antreibt. Die Songs sind gut und abwechslungsreich gewählt und die wenigen langsameren Nummern passen super in die Setlist.

      Die Security fällt gleich mehrfach positiv auf. Sie sind sehr aufmerksam und nehmen jeden Crowdsurfer sanft und sicher entgegen, sie geben dem Publikum zu trinken, sie sprühen mit Wasser zur Abkühlung und was der absolute Hammer ist, sie rocken richtig mit, klatschen, hüpfen und feuern das Publikum an, ohne dabei auch nur einen Moment unaufmerksam zu sein. Super! Hier hat einfach jeder Spass, Band, Fans und Security! Ein dickes Lob und Dankeschön an diese Leute! Was die Stimmung angeht, ist das Reload einfach nur geil ohne Ende!

      Skindred war mir bisher gänzlich unbekannt, aber vor ihrer Show versammelt sich eine beachtliche Menge Fans, die dann auch noch alle Texte des ungewöhnlichen Reggae-Metal mitsingen können. Mir gefällt diese Mischung aus Karibik, Techno, Hip Hop und Metal. Das ist echt mal was anderes und verbreitet, passend zum strahlend schönen Wetter eine ausgelassene Ferienstimmung.

      Der Circle Pit, der bei den Emil Bulls eingeläutet wurde, ist mittlerweile fest etabliert. Ich muss schon grinsen, wenn ich denke, wieviel Energie in so manchem Rocker freigesetzt wird, wenn nur die richtige Musik gespielt wird.

      Obschon ich an den Barriers stehe und sich direkt hinter mir der Pit austobt, habe ich genug Bewegungsfreiheit. Jeder geniesst hier die Musik, wie er mag.

      So ein kleines Festival hat schon seine Vorteile, es herrscht kein riesen Andrang auf die erste Reihe, es gibt kein Crowdsurfing-Verbot wie in letzter Zeit leider so häufig und da sind auch keine lästigen Wavebreaker, die die Fans einschränken. Das ist mal ein Metal-Festival, das den Namen auch noch verdient. Freiheit gehört bei uns zum Leben.

      Nachdem Skindred ja doch eher auf der fröhlichen Rockschiene fahren, machen Sick of It All ihrem Namen alle Ehre. Sie rocken gnadenlos vorwärts und peitschen den Circle Pit zu neuen Höchstgeschwindigkeiten an.

      Der Gitarrist Pete Koller ist eine wahre One-Man-Show. Wie eine überdrehte Aufziehmaus zieht er seine Runden auf der Bühne und scheint überhaupt nicht müde zu werden. Trotzdem hat er aber immer Kontakt mit dem Publikum, singt und lacht mit seinen Fans. Natürlich gibt es auch bei Sick of It All die Gelegenheit für Singspiele. Die eine Hälfte vom Publikum soll "die alone" singen, die andere "die, die!". Nach dem ersten Üben geht Lou, der Sänger, einen Schritt zurück: "That's scary!". Besonders das „die, die!“ klang unheimlich überzeugend, das Publikum hat es echt drauf.

      In der Umbaupause vor Airbourne stellt sich ein junger Rocker neben mich, mit dem ich mich vorher schon unterhalten hatte. Er freut sich sehr auf seine erste Airbourne Show und ich bin zufrieden, in so guter Gesellschaft zu rocken.
      * * * Blessed are the cracked, for they let in the light! * * *
    • Trotz der etwas beengten Platzverhältnisse auf der Bühne lassen es sich Airbourne nicht nehmen, auf jeder Seite der Drums die üblichen 6 Marshall Stacks aufzustellen. Für einen Pyro-Aufbau ist leider kein Platz und auch die aufblasbaren Black Dog Barking Bälle scheinen hier nicht zum Einsatz zu kommen. Dafür haben sie eine Stunde Spielzeit, das ist schon mal sehr vielversprechend.

      Da sie sehr kurzfristig eingesprungen sind, habe ich nicht so viele Leute mit Airbourne-Shirt gesehen, wie sonst immer, und es ist auch nicht ganz so eng wie bei ihren "normalen" Shows.

      Durch den leicht transparenten Stoff der Bühnenabdeckung können wir sehen, wie Streety zur Bühne hoch geht und wie Joel sein Shirt auszieht und Aufwärmübungen macht. Wir pfeifen und jubeln und er schaut durch die Abdeckung zurück und reisst die Airbourne Faust zum Salut hoch.

      Keine fünf Minuten später stürmen die Jungs auf die Bühne und legen mit „Ready to Rock“ los. Ich denke gar nicht weiter nach und bange mit. Erst später realisiere ich, dass es total problemlos geht, obschon ich doch in Donington vor ein paar Wochen ganz schön zusammengefaltet worden war.

      Streety sieht mich gleich und lacht erfreut, bevor er an den Bühnenrand rennt, um mit mir zu bangen. Malte neben mir rockt auch mit Feuereifer, diese Band reisst jeden mit.

      Die Jungs sprinten voller Spielfreude und Übermut über die Bühne, frisch und spritzig, die anstrengende Festivaltour kreuz und quer durch Europa merkt man ihnen nicht im Geringsten an.

      Auch Joel erkennt mich trotz Sehschwäche und grinst, während er Gitarre spielt und mit mir singt.

      Ein paar besoffene Idioten von links verhalten sich total unsportlich und versuchen, Malte meinen Rockerkumpel, abzudrängen. Tatsächlich greift einer der Securitys ein und gebietet dem unfairen Benehmen nachdrücklich Einhalt. Die Message wird verstanden und wir können wieder ungestört rocken. Die Securities rocken mit uns.

      Malte, ich und meine Nachbarin rechts headbangen zu dritt nebeneinander und ich sehe, wie sich ein paar Pressefotografen umdrehen und uns fotografieren.

      Dann schaue ich nach rechts und sehe, wie Herald und noch jemand von einer andern Crew ihre Kameras auf uns halten und lachen. Ob sie filmen oder fotografieren? Mir ist schon öfter aufgefallen, dass sie das tun und ich frage mich einen kurzen Moment, was sie mit den Aufnahmen eigentlich machen.

      Aber viel Zeit zum Nachdenken ist nicht, wir rocken und bangen uns durch „Back in the Game“. Bei „Raise the Flag“ gibt es dann kein Halten mehr. Band und Publikum gehen total ab.

      Joel entscheidet sich bei dieser Show für eine seiner berüchtigten Klettereinlagen und auch wenn die Rigs nicht übermässig hoch sind, ist das Publikum hell begeistert, schreit und streckt die Hände in die Luft, als er da oben sein Solo spielt.

      Black Dog Barking ist einer meiner Lieblingssongs, ich kann den glaube ich gar nicht hören, ohne beim Chorus zu bangen. Ich bin einfach nur happy, dass sie den fest in die Setlist aufgenommen haben.

      Dave macht einen wesentlich muntereren Eindruck als bei früheren Shows, seiner Hand geht's wohl besser. Er schaut mich sogar ein paar Mal an.

      Ryan singt trotz riesen Anstrengung beim Trommeln nicht wenige Songs mit. Er scheint gut drauf zu sein und als er vor Live it Up die Sirene ankurbelt, übertrifft er sich selbst punkto Lautstärke und Geschwindigkeit. Die Sirene heult in höchsten Tönen! Wir sind total heiss auf den Song nach diesem Einstieg.

      Als sie Runnin' Wild spielen, gibt es kein Halten mehr, die Menge tobt begeistert und die Jungs auf der Bühne geben bis zum letzten Ton einfach alles. Nachdem Joel uns zum Abschied sagt: "Remember, as long as we are alive and as long as you are all alive, Rock'n'Roll will never ever die!" verschwinden sie ohne grosse Sentimentalitäten von der Bühne.

      Überall im Publikum unterhalten sich die Leute über die wilde Show, über Joels verrückte Klettereinlage, das geile neue Album und die begehrten Black Dog Barking T'Shirts. Airbourne hat eingeschlagen wie eine Bombe und ich bin mächtig stolz auf unsere Jungs.

      Malte und ich genehmigen uns ein wohlverdientes "Bier-danach", dann stellen wir uns etwas weiter weg hin, um At the Gates zu sehen, die den Abend würdig abschliessen.

      Kurz nach dem Beginn der Show steht Streety auf der Seite der Bühne und schaut sich die Show an. Christoph von den Emil Bulls unterhält sich mit ihm. Die At the Gates Show ist die letzte Show des Abends und das Publikum ist müde, aber die Band gibt trotzdem nochmal richtig Gas.

      Im Anschluss an die Show geht's im Zelt noch weiter mit live Musik und später mit einer Metal-Disco. Um kurz vor fünf Uhr morgens fahre ich mit dem Taxi zum Bahnhof. Die Gegend hier ist total ländlich und grün, aber ich mag diese weite, offene Landschaft und der Sonnenaufgang ist wunderschön. Um sieben Uhr geht die lange Rückreise los, aber ich bin nach einer kurzen Krise schon wieder erstaunlich fit und kann meine Memoiren zu Papier bringen.
      * * * Blessed are the cracked, for they let in the light! * * *